Wednesday 28 June 2017

Fotoreporter im Konflikt

Als ich vor nunmehr gut 18 Jahren im Rahmen eines MA in Journalism Studies an der Universität von Wales in Cardiff die Dokumentarfotografie entdeckte, konnte ich von Fotografischem nicht genug kriegen. Eine Welt tat sich mir auf, begierig stürzte ich mich hinein. Vor allem angetan hatten es mir die "Klassiker" (Julia Margaret Cameron, Walker Evans, Dorothea Lange ...) und die Kriegsfotografen (Don McCullin, die "Vietnam-Fotografen" ...). Daher also mein Interesse an Felix Koltermann: Fotoreporter im Konflikt. Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina.

Es handelt sich um ein sehr umfangreiches Werk (450 grossformatige, dicht beschriebene  Seiten, keine Fotos), eine Dissertation, die erfüllt, was von Dissertationen vor allem verlangt wird: Sie erbringt den Nachweis, dass der Autor seine Hausaufgaben gemacht hat, also gelesen hat, was es zum Thema zu lesen gibt sowie es analysiert, geordnet und bewertet hat. Im besten Fall liefert sie auch neue Erkenntnisse.

Koltermann beschreibt seinen Ansatz wie folgt: "Bisher wurde die Auseinandersetzung, wie die Beziehung zwischen Fotograf und Fotografierten aussieht, vor allem über die Bilder geführt. Die vorliegende Arbeit wechselt die Perspektive und wendet sich dem Fotografen und seiner Verortung im Journalismus- und Konfliktkontext aus Sicht der fotojournalistischen Praxis zu." Ein interessantes, jedoch höchst anspruchsvolles Unterfangen, das, abgesehen von den komplexen und komplizierten kulturellen und politischen Verhältnissen, auch praktische Probleme stellte. "Problematischer als gedacht erwiesen sich die Englischkenntnisse der Palästinenser."

Ich verfüge zwar über akademische Abschlüsse, Akademiker bin ich jedoch nicht. Ich denke nicht in methodologischen Kategorien. Anders gesagt: Ob die Folgerungen, die der Autor aus seinen Untersuchungen gezogen hat, logisch und überzeugend sind, beschäftigt mich nicht, denn weder habe ich ein tieferes Interesse am israelisch-palästinensischen Konflikt, noch glaube ich, dass die Rolle des Fotoreporters sich von der des schreibenden Reporters wesentlich unterscheidet, ausser dadurch, dass derjenige, der Fotos macht, gezwungen ist, näher ran zu gehen.

Bei Felix Koltermann klingt Letzteres so: "In der Anwesenheit des Fotografen in der Situation manifestiert sich das zentrale Qualitätskriterium fotojournalistischer Arbeit: die Authentizität als spezifische Form des journalistischen Qualitätsanspruchs (vgl. Grittmann 2007: 36). Die Anwesenheit des Fotografen ist der Garant für die Authentizität, während für die Objektivität im Textjournalismus journalistische Rechercheprogramme ausschlaggebend sind, unter denen die Anwesenheit vor Ort bzw. persönlicher Augenzeuge zu sein nur eines unter vielen Kriterien ist."

Nun ja, wie problematisch Augenzeugen sind, sagt treffend das russische Sprichwort: Er lügt wie ein Augenzeuge. Mit anderen Worten: Fotoreporter agieren nicht im luftleeren Raum, sondern gehen ihre Aufgabe mit dem biografischen Gepäck an, das alle Menschen leitet. Und so beschäftigt sich Felix Koltermann verdankenswerterweise recht ausführlich mit der Sozialisation der Fotografen. Das ist spannend zu lesen, doch daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen, ist eigentlich nicht möglich ("Da es im Fotojournalismus anders als im Textjournalismus kaum Möglichkeiten eines Volontariats gibt, ist der Sozialisationsprozess komplex und höchst individuell"), ausser auf einer sehr allgemeinen und wenig aussagekräftigen Ebene, so etwa, wenn der Autor "Bedarf nach einer qualifizierten Weiterbildung von Fotoreportern" ausmacht. Als Ergänzung zu den gängigen technikorientierten Kursen schlägt er "Rechercheschulungen mit besonderem Augenmerk auf der Arbeit in Konflikten bis hin zu Techniken zum Erhalt der psychosozialen Gesundheit" vor und fügt hinzu: "Damit verbunden ist die Entwicklung einer Haltung als kritischer Bildproduzent. Auf dem freien Weiterbildungsmarkt haben Angebote in dieser Richtung nur wenig Chancen."

Für mich ist dieses Buch vor allem eine eindrückliche Materialsammlung. Was der Mann da alles zusammengetragen hat! Besonders anregend fand ich die unterschiedlichen Auffassungen der Fotoreporter in Sachen praktische Ethik: Soll man als Fotograf helfen? Wie soll man mit Opfern im Bild umgehen? Die Stellungnahmen sind individuell höchst verschieden und machen vor allem deutlich, dass es einfache Antworten häufig nicht gibt.

Für mich geht es bei Pressebildern vor allem darum, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt, sie also be- und hinterfragt. Was dabei, wenn es denn überhaupt stattfindet, meist untergeht, sind Fragen nach dem Entstehungsprozess der Bilder. Felix Koltermanns Fotoreporter im Konflikt ist eines der seltenen Bücher, das sich genau mit diesen Fragen auseinandersetzt. Und leistet damit eigentliche Pionierarbeit. Bravo!

 Felix Koltermann:
Fotoreporter im Konflikt
Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina
transcript Verlag, Bielefeld 2017

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